Angst - unser wichtigster Beschützer, unsere größte Blockade

Wenn wir Menschen von einer vermeintlichen oder tatsächlichen Gefahr bedroht werden, reagiert unsere Amygdala. Eine komplexe Reaktion des sympathischen autonomen Nervensystems folgt. In diesem Zustand verdrängt reduktionistisches binäres Denken die Nuancierung: Diese Verarbeitung schaltet Möglichkeiten und kritisches Denken aus und vereinfacht unsere Optionen für schnelle Entscheidungen und Nicht-Handeln oder Handeln. Sind wir in Sicherheit oder in Gefahr?

Dieser Zustand ist aus evolutionärer Perspektive durchaus hilfreich, er kann aber auch von manipulativen Kräften zur Kontrolle und Machtausübung missbraucht werden. Meiner Erfahrung und Überzeugung nach kann man seinen Geist und Körper so trainieren, dass man nicht so schnell in einen sympathisch dominierten Zustand abgleitet. Durch kognitive Übungen, zum Beispiel dem Visualisieren hypothetischer Szenarien, kann man sich auf ein tatsächliches Ereignis in der Zukunft vorbereiten – jeder Leistungssportler kennt das aus dem mentalen Training. Diese Vorbereitung schafft die Möglichkeit, den reflexiven Prozess zu unterbrechen, so dass Entscheidungen auf höherer kortikaler Ebene getroffen werden können. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, Panikreaktionen zu vermeiden und ein proaktives und der Situation angemessenes Verhalten zu fördern.

Exposition spielt dabei auch eine Rolle. Als Skispringer und Liebhaber aller möglichen Risiko- und Abenteuersportarten habe ich gelernt, Angst zu antizipieren und gelernt, dass ich im Angesicht der Gefahr immer noch selbstbestimmt handeln und denken kann. Wir sind in unserer Kultur viel zu wenigen realen Gefahren ausgesetzt. Neurologisch wäre es gesünder, ab und zu mal einer Klapperschlange oder einem Bären über den Weg zu laufen, eine schwere Klettertour zu gehen oder von einem hohen Felsen ins Wasser zu springen oder eine Skitour in schwerem Gelände zu fahren. Es scheint, je mehr wir uns solchen Herausforderungen aussetzen, die uns nicht zu sehr überwältigen, desto besser können wir mit ihnen umgehen, wenn sie unerwartet auftreten. Wir können üben, einen kühlen, klare Kopf zu behalten.

Im Leben habe ich das schon oft erlebt: Vermeintlich gestanden Männer verlieren den Kopf, wenn es brenzlig wird. Ob beim Skifahren, beim Segeln oder wenn es darum geht, einen Verletzten aus einem Auto zu bergen. Dabei ist die Annahme von Herausforderungen und Risiken ein wichtiges Gegengewicht zu Sicherheit, Komfortzonen und Bequemlichkeit. Wenn wir uns ständig vor echten oder vermeintlichen Risiken schützen, Unannehmlichkeiten und Unbequemes reduzieren, dann schrumpft unsere Komfortzone, während unsere Toleranz gegenüber Herausforderungen abnimmt. Wachstum wird so gehemmt, blockiert.

Aber all das ist Theorie. Immer werden wir unvorhergesehenen Herausforderungen begegnen, an die wir vorher nicht gedacht oder für die wir nicht trainiert haben. Egal ob es um Angst vor einem Virus geht, Angst vor einer öffentlichen Rede, um Angst vor einer Klassenarbeit oder um die Angst davor, vom Pferd zu fallen. 

Doch selbst in solchen Situationen ist es möglich, den reflexiven Teil unserers Gehirns, der unser Verhalten steuert, abzuschwächen und die Fähigkeit zu verbessern, aus einem reflektierteren Zustand heraus zu handeln, bei dem unser Neokortex wieder seinen Job erledigen kann: Nachdenken. Planen. Konsequenzen abschätzen. Bewusst entscheiden.

Wir können Fähigkeiten entwickeln, körperliche oder mentale, um bedrohliche Situationen zu überstehen. Wir können Atemarbeit zur Regulierung unserer Physiologie und unseres Geistes einsetzen, körperliche Aspekte von Emotionen wahrnehmen lernen, spezielle visuelle Übungen absolvieren, um Stressreaktionen abzumildern, meditieren, um die Inselrinde und damit die gefühlte innere und äussere Wahrnehmungsqualität zu verbessern und vieles mehr. All das hilft dabei, weiter denken zu können, anstatt uns unnötig von der Amygdala kapern zu lassen.

Angst ist kein Zeichen von Schwäche. Angst ist überlebenswichtig. Um Mut zu haben, braucht es Angst. Und ohne Mut ist das Leben kein Leben.

Werd' mutig!

Marc

P.S.: Einen Online-Kurs zum Thema mit dem Titel "No(w) Fear – das Training gegen Angst" findest Du hier. 

Close

Up-to-date bleiben?

Kein Spam. Nur Infos. Nur das Wichtigste!